Neue Ansätze?

Ich war heute kurz an einer Twitter-Diskussion beteiligt, in der es – verkürzt und vereinfacht formuliert – um die Richtige Ansätze bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus ging.

Tweet von Pavel

Hängen wir uns mal nicht an dem Wort „Spuk“ auf, es ist eher salopp als präzise, aber wir verstehen ja alle, was gemeint ist. Wenig später dann von Harry der folgende Vorschlag:

Tweet von Harry

Ich bin da dann doch etwas skeptisch.

Exkurs über den Aderlass

Der Aderlass ist eine der ältesten medizinischen Behandlungsformen und galt bis ins 17. Jahrhundert als eine der wichtigsten medizinischen Therapieformen. Er beruhte auf heute längst wiederlegte Annahmen über die Funktion des Blutes und war in den meisten Fällen medizinisch eher bis stark kontraproduktiv. Aber die damaligen Ärzte wussten es oft nicht besser und haben dann in lauterster Absicht und nach bestem Wissen und Gewissen ihren Patienten massiv geschadet – so mancher Patient hat das nicht überlebt.

Ende des Exkurses.

Warum dieser Exkurs? Weil jemand, der in lauterster Absicht und nach bestem Wissen und Gewissen handelt, noch lange nicht richtig liegen muss. Er kann auch massiv schaden.

Marginalisierung von Minderheiten

Der Vorschlag von Harry ist – zusammengefasst – der Vorschlag, eine Minderheit zu marginalisieren. Viele Menschen zucken innerlich zusammen, wenn es „gegen Minderheiten“ gehen soll, aber eine Minderheit ist nicht per se gut. Nazis sind (zumindest derzeit noch) eine Minderheit, und gegen ihre Marginalisierung ist aus moralischer Sicht überhaupt nichts einzuwenden.

Allerdings funktionieren die vorgeschlagenen Methoden nur, solange es sich um eine Minderheit handelt. Bei einer Mehrheit braucht man diese Methode nicht zu probieren (Extremwertbetrachtung: Stellen wir uns ganz kurz mal vor, eine Widerstandsgruppe wie die Weiße Rose hätte gegen die Nazis die Strategie „konsequente gesellschaftliche Ächtung, jeden Raum zumachen, alles blocken“ verfolgt. Wie gut hätte das funktioniert? Ok, wir sind uns also einig).

Ich bin sogar der Ansicht, dass diese Methode nur funktioniert, solange diese Minderheit deutlich kleiner ist als die Gruppe, welche diese Methode anwendet. Wenn 30% der Gesellschaft versuchen, 3% zu marginalisieren, dann kann das funktionieren. Wenn 30% der Gesellschaft versuchen, 20% zu marginalisieren, dann ist das nach meiner Einschätzung ziemlich aussichtslos.

Wie ist die Lage?

Die Strategie ergibt sich aus der Lage. Die Lage ist

  • Die AfD ist in der Mehrheit der Landesparlamente, häufig mit zweistelligen Ergebnissen, häufig mit besseren Ergebnissen als Die Linke.
  • Die AfD hat selbst in Berlin trotz „Berliner Konsens“ zweistellig geholt.
  • Die AfD bekommt problemlos Zugang zu Diskussionssendungen zur besten Sendezeit und kann dort ihre Thesen verbreiten. Es ist auch kein Ansatz erkennbar, wie der Teil der Bevölkerung mit progressiv-antifaschistischer Einstellung das ändern könnte.
  • Die AfD gewinnt zunehmend die „Lufthoheit“ im Bereich der Social Media.
  • Die AfD hat den strategischen Vorteil, dass Gerüchte leichter zu streuen als zu widerlegen sind, dass die Wahrheit meist komplizierter als die Lüge ist.

In dieser Situation teile ich die Ansicht, dass neue Ansätze gebraucht werden, weil die bestehenden ganz augenscheinlich nicht ausreichend wirken (möglicherweise sogar kontraproduktiv sind).

Was tun?

Eine fertige Strategie habe ich auch nicht. Aber für den Anfang folgende Überlegungen:

  • Im Bereich der Medizin hat die konsequente Anwendung wissenschaftlicher Methoden viel Fortschritt gebracht. Ich würde auch hier viel Hoffnung darin setzen. Also „evidenzbasierte Faschismusbekämpfung“. Das setzt dann auch voraus, dass man bereit ist, die gewonnenen Erkenntnisse zu hören – auch wenn die lauten, dass man in den letzten Jahren auf dem Holzweg war.
  • Eine Gruppe von 2% mag man ausgrenzen können, eine Gruppe von 20% muss man verkleinern. Also Kampf um alle, die irgendwie noch erreichbar sind. Und: Um jemand auf seine Seite zu ziehen ist es nicht förderlich, ihn vorher möglichst oft einen Nazi zu nennen.
  • Wenn man Polizei und Justiz notorisch als Feind betrachtet, braucht man sich nicht wundern, wenn die sich „auf die andere Seite der Barrikade“ stellen. Gerade die Polizei bräuchte auch viel mehr „rote Socken“ in ihren Reihen.
  • Auf „Anschlussfähigkeit“ von Menschen außerhalb der eigenen Filterblase achten: Es gibt Menschen, die nicht gendern, auch mal einen sexistischen oder behindertenfeindlichen Witz reissen, die Geflüchteten lieber wieder in ihren Herkunftsländern sehen würden und auch in ihrer Wortwahl mal daneben greifen – und nichts davon begeistert mich.

    Aber wenn wir diese Menschen ins rechtsextreme Spektrum treiben, statt sie auf unsere Seite zu ziehen, werden wir den Kampf um die Mehrheit verlieren.

3 Gedanken zu „Neue Ansätze?“

  1. Die vielfältigen politischen Ideen spiegeln sich in gar keiner Weise im Parlament – und nur ungenügend auf dem Wahlzettel wider. Verstärkend kommt Frustration & Wut über eine Politik, die so weit vom Bürger entfernt ist wie nie zu vor – hinzu. Und zum Schluss: Leider „legitimiert“ der Wahlzettel auf dem alle 4-5 Jahre ich nur eine Partei und eine Personen => im Voraus ! wählen kann diesen Wahnsinn.

    Das ist die Ausgangsbasis. Auf der anderen Seite sehe ich die möglicherweise frustrierten Bürger.
    Welche Möglichkeiten – neben Demonstrationen – haben die Bürger noch? Das Abwatschen der Etablierten auf dem Wahlzettel.

    Das Denken, die Sprache, die Filme, die Politik – alles wird radikaler – vor allem die Berichterstattung. Trotzdem halte ich die neue rechte Partei mit den zweistelligen Wahlergebnissen (vorerst nur auf Landesebne) nicht für wirklich rechte politische Strömung in der Masse der Bundes(wut)bürger. Es ist (imo) nicht ein plötzlich auftretender rechtsradikaler Flash Mob, sondern der radikale Ausdruck einer starken Frustration.

    Hätte es früher schon so viele (15-25% Wahlberechtigte) radikale Rechte gegeben, die hätten seit Jahrzehnten im Spektrum von N9D, DVU, Republikanern, Schill-Partei und anderen genügend Möglichkeiten gehabt ihren Wünschen auf dem Wahlzettel Ausdruck zu verleihen. Aber die haben sich vorher gleichbleibend wenig bemerkbar gemacht.
    Ja, die Flüchtlingskrise ist neu und imo ein verstärkender Faktor, aber eben nur ein Faktor. Wenn die Flüchtlingskrise der einen Partei so viele Stimmen bringt, warum hat Snowden der anderen Partei so wenig Stimmen gebracht?

    Für mich gilt: weiter die Situation kritisch zu beobachten und kritisch zu hinterfragen. Solange weder N9D noch die andere Partei verfassungswidrig sind und darum vom Verfassungsgericht verboten ist, sehe ich mehr die Gefahr darin, dass eine politische Richtung, die einem persönlich nicht gefällt mit sehr fragwürdigen Methoden öffentlich diskreditiert wird. Gilt die Meinungsfreiheit bei uns nur, solange man „die richtige Meinung“ hat?
    Seit dem denkwürdigen September ist die Meinungshoheit ein politisches Machtmittel geworden.
    Auch die Freiheit der Meinungshoheit* muss geschützt werden, wie die Berichterstattung z.B. im Ukraine Konflikt oder aktuell (Ende 2016) in dem Syrienkonflikt zeigt.
    *Ich schrieb bewußt nicht Pressefreiheit

  2. Ergänzung zum Kommentar:
    Auf dem linken Spektrum gibt es seit Jahrzehnten die Linke/PDS. Auch diese Partei (die Linke) eignet sich nicht um seinem Frust einen radikalen Ausdruck zu geben. Die Linken Parteien sind so etabliert und so wirksam, wie sie sich bereits in den letzten 30 Jahren zeigten.

    weitere Ergänzung:
    Die Geschlossenheit und die Unemfindlichkeit gegen Angriffe aus den Medien unterscheidet die neue Rechte von den Piraten vor 4 Jahren.
    Ich persönlich vermute eine Verbindung der Initiative neue soziale Marktwirtschaft mit der neuen rechten Partei. Die haben mit den Spenden und der Finanzierung anscheinend deutlich weniger Probleme als die Piratenpartei damals und heute.
    Geldspenden aus der Industrie sind ein Signal an die Presse, dass die neue Rechte Rückhalt bei ihren Eignern/ Goßkunden hat.

  3. Ausgrenzen ist Mist, PUNKT!

    Eine Gruppe von „2-3%“ ist keine Gefahr. Sie „auszugrenzen“ tut eine Mehrheit nur, um ihre „Identität“ zu streicheln – genau, „Identität“ wie in „Identitäre“. Einen behinderten „Nahdsi“ verbal niederzumachen, hat nichts mit „Faschismusbekämpfung“ zu tun.

    Eine Gruppe von „20%“ auszugrenzen, geht nicht; und es GIBT auch nirgendwo 20% „HuFus“, HundertFuffzig-Prozentige, in einer Gesellschaft.

    Wer aber „jeden Raum zumacht, alles blockt“ sperrt sich nur selbst aus, „den Feind“ zu verstehen; und damit kann er Gruppen wie „SSS“ oder „Die RECHTE“ auch nicht mehr von „Gemäßigten“ unterscheiden – oder einfach nur von Leuten, die anders denken als er selbst. Beispiel „Gendern“: Die PIRATEN verwendeten, als sie erfolgreich waren, Postgender – „empirisch“ wirksam, in Ländern ohne „Gendering“ wie den Anglophonen (the engineer – nicht engineer/engineeress – die Formen gibt es durchaus, nur sie werden nicht verwendet) gibt es auch WEIT höhere Anteile weiblicher Naturwissenschaftler.

    Viele Gruppen innerhalb der LINKE, GRÜ und den ganzen Randgruppen sahen das als „Beleg“ für die „Rechtslastigkeit“ der PIRATEN. Die LINKE versuchte so einmal gegen die PIRATEN zu plakatieren.

    Was passiert wohl, wenn Pseudo-„Linke“ in einer Stadt konsequent Versammlungen der PIRATEN „zumachen“? Genau. Die PIRATEN bekommen verständlicherweise einen ziemlichen Hals auf diese Pseudo-„Linken“, die sich nicht mal die Mühe machen anzuschauen, wofür die PIRATEN stehen (standen?).

    Wenn man vermeintliche – oder echte! – „Faschos“ konsequent ausschließt, drängt man sie in eine Parallelgesellschaft, zu der sie keinerlei Grund haben, sie zu hinterfragen oder sie zu verlassen – man verstellt ihnen den Ausweg. Ein NPD-Mitglied sollte aus einem THW-Ortsverband nach Wunsch des Kreistages ausgeschlossen werden; der Ortsbeauftragte erklärte vor Gericht, es halte das für großen Blödsinn, man achte sehr wohl darauf, daß der Helfer keine Parteiwerbung im Dienst mache, und er hoffe, das Gericht erkläre den Ausschluß für rechtswidrig (tat es) und kappe damit nicht eine Verbindung des NPDlers zur „Mehrheitsgesellschaft“.

    Genau so eine Haltung MUSZ sein. Man KANN keine Menschen ausgrenzen und ihnen so Kontakt wie Rückzugsraum in die Mehrheitsgesellschaft verstellen. Das gilt ganz besonders für AfDer, wo man SEHR genau zwischen HuFu-Funktionären (in Zweitfunktion als Provokateure…) und Basis/Kommunalen unterscheiden muß; natürlich sind auch Kommunale und Basis der AfDer teils grenzwertig Faschos (oder haben die Grenze schon weit hinter sich gelassen…), aber bei weitem nicht alle, vor allem bei einem zweistelligen Ergebnis.

    „Empirisch“: Die Anfälligkeit in Deutschland für radikale und extremistische Ideologien liegt bei ca. 3%. Eine RECHTSpartei, die also „zweistellig“ wird, muß davon 7-9% /nicht/-Radikale erreichen; und genau mit denen (die meisten, z.B. im Saarland, düften nach den Wahlergebnissen ehemalige PIRATEN-Wähler sein…) muß man ins Gespräch kommen.

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