10 Thesen zur Situation und zur Zukunft der Piratenpartei

Zur Landtagswahl in NRW schreibe ich jetzt nichts, es gilt ohnehin exakt dasselbe, was ich vor einer Woche Zur Wahl in Schleswig-Holstein geschrieben habe.

In meiner Timeline ist nun viel von „Reset“, „Neustart“, „Zurück auf Anfang“ zu lesen. Dies soll nun auch Thema dieses Blogposts sein.

1.) Nur eine Chance

Wir haben wohl nur eine Chance für einen solchen Neustart. Wir haben zwar noch Sympathien „da draußen“, aber die werden nicht endlos viel Geduld mit uns haben. Von daher lassen wir uns jetzt lieber etwas Zeit und machen es richtig.

2.) Kluge Schwerpunktsetzung

Beginnen wir zunächst einmal, ehrlich gegenüber uns selbst zu werden. Dazu gehört unter anderem die Einsicht, dass wir Wenige sind und unsere Kräfte in den letzten Jahren durch viele Wahlkämpfe und viel innerparteiliche Reibungsverluste ziemlich verschlissen haben.

Es ist jetzt ein Gebot der Klugheit und der Nachhaltigkeit (möglicherweise auch ein Gebot der Mitmenschlichkeit), diese Kräfte zu schonen, zu sammeln, und dort einzusetzen, wo Erfolge erreichbar sind. Und Erfolge sind da nicht zwingend Wahlerfolge.

3.) Politik für die Themen statt für die Prozente

Es gab mal eine Zeit, da war „wie erreichen wir 5%“ sehr viel weniger ein Thema, weil die 5%-Hürde ohnehin außer Reichweite schien. Statt dessen was mehr die Fragestellung, wie den Menschen die Inhalte zu vermitteln seien.

Unsere Fixierung auf die 5%-Hürde macht uns verbissen und unsexy.

4.) Glaubwürdigkeit

Das wesentliche Kapital müsste unsere Glaubwürdigkeit sein. Dafür sehe ich als Voraussetzungen:

* Ehrlichkeit auch dort, wo sie uns auf den ersten Blick schaden könnte, beispielsweise beim Einräumen von Fehlern und vor allem beim öffentlichen Prognostizieren von Wahlchancen.

* Vorleben, was wir fordern. Liefern, was wir ankündigen. Wie sind wir denn mit innerparteilichen Mitbestimmungen, mit Transparenz, mit Datenschutz derzeit aufgestellt?

* Streitkultur. Ja, als transparente Partei tragen wir auch unsere Differenzen öffentlich aus. Das alleine hätte uns wohl nicht geschadet. Aber: Es waren seltenst inhaltliche Differenzen, es waren fast immer persönliche Differenzen, und die Streit *hust* „kultur“ war unterirdisch.

5.) Spektrale Integration

Wir haben anfangs mal ein ganz großes politisches Spektrum angesprochen, von ganz weit links bis so weit rechts, dass wir uns da schon deutlich abgrenzen mussten. Möglicherweise hätte das sogar funktioniert, wäre man es richtig angegangen. Statt dessen haben wir nach und nach wirklich alle politischen Richtungen mindestens einmal so verärgert, dass die gute Gründe haben, uns nicht mehr zu mögen.

Die Schwierigkeiten sind jetzt kein spezielles Problem der Piraten, die Konflikte zwischen Fundis und Realos sind so legendär, dass ich schon nicht mal mehr die Partei nennen muss, in der sie stattfanden und nur mit Hilfe einer Quote so halbwegs befriedet werden konnten. Andere Parteien haben das auch, auch wenn sie es deutlich geräuschärmer klären.

Wir sollten Mechnismen schaffen (ich habe da Ideen, es gibt aber sicher auch andere Möglichkeiten, und es soll jetzt hier nicht das Thema sein), wie wir mehrere auch deutlich unterschiedliche Strömungen konstruktiv integrieren können.

6.) Innerparteilicher Umgang

Das Thema „innerparteilicher Umgang“ war ja bislang eher so der Vorwand, mit Fingern auf andere zu zeigen, „quod licet jovi, non licet bovi“ at it’s best. Wir werden wohl nicht umhinkommen, klare und vor allem für alle gleichermaßen verbindliche Regeln aufzustellen.

(Ja, ich habe da mal große Pläne am Anfang meiner eigenen BuVo-Zeit gehabt und muss mich da auch selbst an die eigene Nase fassen, das nicht energisch genug verfolgt zu haben…)

7.) Informelle durch formelle Strukturen ersetzen

Wir haben es lange als Vorteil gesehen, wenig formelle Strukturen zu haben. Das hat einerseits zu hoher Ineffektivität geführt, andererseit zu informellen Strukturen, die dann wenig transparent und auch nur sich selbst Rechenschaft schuldig waren.

Wir sollten es statt dessen mal mehr mit formelle Strukturen versuchen, diese jedoch stark flexibel halten.

8.) Die drei Rollen der Piratenpartei

Die Piraten hatten in den letzten Jahren de facto drei Rollen:
* als klassische politische Partei
* als Experimentierfeld, wie Demokratie reformierbar sein könnte
* als Politik-Ausbildungsbetrieb

Wir sollten auch die zweite und die dritte Rolle besser annehmen. Wer auf einem Segelschulschiff lernt, muss dann nicht zwingend in die Stamm-Mannschaft. Mir ist es lieber, wir bilden den Politik-Nachwuchs aus, als dass es die Junge Union oder die Jusos das tun. Dann sollten wir aber diese Menschen nicht als „Verräter“, sondern als Verbreiter unserer Ideen betrachten.

Auch sollten wir wieder mehr Mut zum Experiment bekommen. Und unsere Experimente nur dann als Fehlschläge betrachten, wenn sich keine Erkenntnisse daraus ziehen lassen. Ja, und natürlich sollten wir unsere Experimente mal besser auswerten, überhaupt mal auswerten.

9.) Politik ist Marathon, kein Sprint

Dass wir mal sehr schnellen Erfolg hatten (zumindest die, die damals noch nicht so lange dabei waren) hat uns in der Hinsicht auch ein wenig „versaut“, viele doch etwas süchtig nach schnellen Erfolgen gemacht. Politik ist jedoch fast immer das geduldige Bohren von dicken, harten Brettern.

10.) Nun mal konkret

Die letzten Thesen waren eher abstrakt und allgemein, die letzte soll mal sehr konkret und das Fazit aus dem vorher geschriebenen werden:

Bei der Bundestagswahl 2017 ist für uns nichts zu gewinnen. Wer werden unsere Leute weiter verschleißen (schon beim Sammeln der Unterstützungsunterschriften), mit einem Null-Komma-Ergebnis rausgehen, weiter an Glaubwürdigkeit verlieren, und selbst wenn wir formal staatliche Mittel („Wahlkampfkostenerstattung“) bekommen – ohne die entsprechenden Eigeneinnahmen sehen wir davon keinen einzigen Cent.

Statt dessen plädiere ich für Schwerpunktsetzung Europawahl. Wenn wir uns nicht wieder so blöd anstellen wie 2014, dann ist ein zweites Mandat erreichbar. Wenn wir wieder gut werden, halte ich auch ein drittes Mandat für nicht ausgeschlossen. Dafür können wir schon im Bundestagswahlkampf werben (egal, ob wir überhaupt antreten oder nicht. Sollte man gar nicht erst antreten, sollte diese Entscheidung der Öffentlichkeit in geeigneter Form kommuniziert und begründet werden, z.B. mit Flyern an den Infoständen, in denen diese Entscheidung erklärt und dann gleich für die Europawahl geworben wird. Unsere Wähler sind ja weder dumm noch weltfremd, die werden das dann schon nachvollziehen können).

Bis zur Europawahl haben wir ausreichend Zeit, die Partei mit der gebotenen Gründlichkeit neu aufzustellen. Dann lässt sich auch die Geschichte „wir haben noch mal neu begonnen“ erzählen.

Schon parallel dazu können wir anfangen, die Piratenverbände in den Stadtstaaten „aufzupäppeln“, denn wenn wir wieder als parlamentarische Kraft auf Landesebene zurückkommen, dann beginnt das wohl wieder dort. Und wir sollten kampagnenfähig werden, so dass dann, wenn sich irgendwo mal wieder eine Chance bietet, wir schnell dort reinstoßen können.

9 Gedanken zu „10 Thesen zur Situation und zur Zukunft der Piratenpartei“

    1. Richtig. (Wobei Bremen womöglich auch zeitgleich oder danach liegen könnte. Und Kommunalwahlen sind ohnehin eine Frage der Stärke vor Ort)

      Und das besagt jetzt? Wir machen weiter so, es stehen ja Wahlen an? Wir hudeln beim „Neustart“?

  1. Da Du mich neben Thomas als einzigen persönlich ansprichst: Das Thema Datenschutz und Piratenpartei kann man nicht mehr in der Öffentlichkeit diskutieren. Deshalb sehe ich mich sogar zu Klagen gezwungen, um nach Jahren der Verweigerungshaltung wenigstens etwas zu retten.
    Vorbildfunktion geht anders.
    Und ja, wir zerschleißen uns auch innerlich durch die unkontrollierte Machtausübung weniger. Wenn Du das x-te um eine Akkreditierung auf einem Parteitag oder einer AV kämpfen musst, kommt man an Grenzen des eigenen Ichs.
    Hier gehört ein Mentalitätswechsel als erste Maßnahme rein.
    Ansonsten kann ich Deinem Blogbeitrag weitgehend zustimmen, auch wenn die Tragweite des möglichen Zusammenbruchs der staatlichen Teilfinanzierung noch nicht gebührend berücksichtigt hast.

    1. 1.) Datenschutz und Piratenpartei – aber zumindest innerparteilich müssen wir das mal sehr gründlich diskutieren.

      2.) Mentalitätswechsel? Bei mir selber – machbar. Bei anderen?

      3.) Staatliche Parteienfinanzierung:

      (4) Anspruch auf staatliche Mittel gemäß Absatz 3 Nr. 1 und 3 haben Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 vom Hundert oder einer Landtagswahl 1,0 vom Hundert der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben…

      Ich gehe davon aus, dass zumindest die nächsten 7 Jahre die Eigeneinnahmen der limitierende Faktor sein werden, dass unsere Wahlergebnisse somit egal sein werden.

  2. Wie auch bei deinem letzten Beitrag ist viel Richtiges aber auch Fragwürdiges bei.

    Zur Grlaubwürdigkeit: Den größten Schaden hat unsere Glaubwürdigkeit genommen, als wir anfingen, unsere eigenen Ideale zu verraten, nur weil andere, uns Ungenehme jene Freiheiten in Anspruch genommen haben, für die wir vorgaben einzutreten. Wer gegen unliebsame Redner an Unis demonstriert, beschädigt die Freiheit der Wissenschaft. Wer gegen unliebsame Künstler mobilisiert, beschädigt die Freiheit der Kunst. Wer politische Gegner mit Fäkalsprache belegt, den inhaltlichen Wettsteit meidet und Gewalt relativiert, braucht kein Wort von Demokratieupgrade verlieren.

    Zum Experiementieren: Wir gelten ohnehin längst als die links-außen-Spinner. Wir haben viel experimentiert aber wenig geliefert. Das muss anders werden. Insbesondere müssen wir die Fragen in den Fokus nehmen, die den Menschen unter den Nägeln brennen und ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen. Wenn wir das nicht tun, tun es andere. Und das wird in den seltendsten Fällen in unserem Sinne sein.
    Das heißt aber nicht, dass wir nicht kreativ sein können. Wir müssen es sogar. Wir sollten uns dabei nicht an anderen Parteien orientieren, sondern eher an NGOs. Ich fand die Piraten am stärksten, als sie wie die Kümmerer rüber kamen. Oder wie die, die mit bissigem Witz einfach am Puls der Zeit waren.

    Formelle Strukturen: Da stimme ich dir zu. Und vielleicht müssen wir auch endlich einsehen, dass bestimmte gewachsene (Un)Strukturen gescheitert sind. Dazu zähle ich auch unseren jährlichen Wanderzirkus und plädiere für einen Zwitter aus Delegiertensystem und „one man, one vote“, damit nicht einige informelle Zirkel das Programm der gesamten Partei zerhauen können und die gezwungenermaßen daheim gebliebene Basis vor den Kopf gestoßen wird. Am Ende stehen wir nicht hinter unserem eigenen Programm und haben zwar ein bisschen Partei gespielt, aber nichts gewonnen. Und wenn wir zu bestimmten Themen keinen Konsens finden, ja dann lassen wir es eben wieder aus. Mut zur Lücke. Andere Parteien sagen zu vielen Fragen auch nichts, aber vermitteln halt ein Image. Das brauchen wir auch wieder. Aktuell ist es die linke Chaostruppe.

    1. Jetzt mal davon abgesehen, dass ich das tradierte Links-Rechts-Schema ohnehin für überholt halte: Nach meiner Wahrnehmung war die Zeit der „links-außen-Spinner“ eher so erstes Halbjahr 2014. Aber je nach eigener Position im politischen Spektrum kann man das natürlich auch anders sehen.

  3. Es gab mal eine Zeit da hat man den Menschen zugehört und sie befragt. Aber diese Sache hat man schon seit Jahren über Bord geworfen. Man hat lieber Zeit, Geld und Energie im Beschimpfen von Wählern, politschen „Gegnern“, Twitterschlachten vergeudet und dabei auch nicht davor zurückgeschreckt Leute zu diffamieren (Nazis, Stalinisten, usw) beim Arbeitgeber anzurufen usw … Gerne auch mit Unterstützung bis hoch zu Bundesvorständen. Die sogenannten jeweiligen Lager schenkten sich nichts bis es 2013/2014 so richtig eskalierte. Geändert hat sich bis heute nicht allzuviel es wird weiter gepöbelt, Wähler für blöd erachtet usw. Man ist arrogant und abgehoben und hat wie die Grünen die Moral für sich gepachtet. Wohlstandskinder die alles haben und dann auch noch sich als Moralapostel aufspielen und alle anderen die nicht der gleichen Meinung sind für dumm halten oder für Nazis. Kann man alles machen aber dann darf man sich nicht wundern wenn der Wähler sagt nö brauchen wir nicht haben wir schon in verschiedenen Geschmacksstufen. Belehren lassen von Leuten die von dem was sie da Verbreiten keine Ahnung haben und von den Folgen die ihr Handeln und Fordern hat freigestellt werden wollen funktioniert eben nicht. Das ganze war so vorhersehbar. Wenn man bedenkt wie man mit aller Gewalt gerade in HH versucht hat mit Plakaten und einem sehr hohen Geldgetrag ein Wahlergebnis zu erzwingen kann man nur sagen so geht es einfach nicht.

    Ich hör jetzt auf es hat so viele Personen gegeben die immer wieder auf diesen Scheiß hingewiesen hatten. Neustart wie oft den noch. Ich stimme dir zu es wird nicht viel zu holen sein in den nächsten Wahlen falls man überhaupt genügend Unterschriften dafür bekommt.

    Gute Personen die gezeigt haben sie könnne es wie Patrick Breyer, Anja Hirschel, … und dann mit einer guten Liste zur Europawahl antreten das könnte 3% bringen vielleicht auch mehr. Aber dazu ist Demut und vor allem mal von vielen Mitgliedern ein Eingeständnis fällig von eigenem Verschulden und Einsicht an dieserr Situation.

    Was dieser „Sozialliberale Vorstosss vom Bundesvorstand bezwecken sollte man versteht es nicht. Das Label interessiert so gut wie keinen Wähler die Menschen wollen und brauchen Politik die den Menschen in den Mittelpunkt stellt dieses auch selbst vorlebt und mit Inhalt füllt.

    So jetzt reichts sonst schreib ich noch heute abend.

  4. 10) Unterschriften sammeln kann nicht falsch sein, wenn ein paar gute Diskussionen und neue, motivierte Mitglieder dabei „heraus(herein!)kommen“!

    Vergesst Wahlen, aber freut Euch über die Stimmen…ich habe 2009 Piraten gewählt, als kleinstes Übel….aktuell sind wieder alle Parteien größere Übel….!

    Vergesst die Medien, auch F*book und Tw*tter (aber nicht unsere eigenen, Web, Wiki, Listen, Chat,…?..!!!). Wenn wir wieder loslaufen, kommen die Medien aus Eigeninteresse schon gekrochen.

    Nein, Europawahl, Kommunalwahlen, da geht es um verschiedene Inhalte. Wenn wir uns nicht bemühen, wenigstens den treuen 0,x Prozent zur BTW anzubieten, bei uns ein Kreuz zu machen, haben wir die auch verloren! Das ist böse…wär traurig…vielleicht wirklich das Ende.

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