Glaubwürdigkeit

Ja, da muss ich dem Sven Recht geben, das ist natürlich leicht gesagt. Aber für so schrecklich schwer in der Umsetzung halte ich das gar nicht. Nur für immer mal wieder ziemlich unbequem.

Was wäre meiner Ansicht nach konkret zu tun?

1. Korrelation von Fordern und Handeln

Die Werte, die wir im Programm und auf unseren Plakaten so hoch halten, einfach mal konsequent in der Praxis leben. Wir stehen für Transparenz, Mitbestimmung und Datenschutz? Dann lasst uns doch mal liefern.

Transparenz ist mehr als das (zugegeben schon ziemlich gute finanzen.piratenpartei.de). Aber immer dann, wenn es wirklich interessant wird, ist in der Piratenpartei Schluss mit Transparenz. Dann kann ich glauben, was mir anderen Piraten erzählen (wobei die Erzählungen widersprüchlich sind), aber ich kann wenig nachprüfen.

Wie sieht es mit Mitbestimmung aus? Ja, kein Delegiertenprinzip bei Bundesparteitagen, wenn ich Zeit und Geld habe, kann ich dort hin, z.B. bei der Wahl eines neuen BuVos mitstimmen, und der macht dann weitgehend, was er will – wenn ich Glück habe, will ich halbwegs dasselbe. Wenn ich die Teilnehmerzahlen von Bundesparteitagen mit den Mitgliedszahlen vergleiche, dann scheitern wir auch da an 5%. Online-Tools zur Mitbestimmung? Warten auf Godot – pardon BEO. Ab und an eine höchst unverbindliche Meinungsumfrage per LimeSurvey, bei welcher der Vorstand die Fragestellung vorgibt. Ehrlich: Wir waren da schon mal viel weiter.

Datenschutz. Fragt doch mal unsere Bundesdatenschutzbeauftragten, wie gut wir da augestellt sind. Sie werden Euch natürlich antworten, dass sie nichts sagen dürfen (dürfen sie wirklich nicht), aber schaut mal, wie gequält sie bei der Antwort schauen.

Wir sollten anfangen, das, was wir fordern, ganz konsequent vorzuleben. Wir stehen für Menschenwürde? Dann sollten wir uns bessere Aktionen einfallen lassen als „golden shit“. Wir stehen für sachorientierte Politik? Dann sollten wir uns mehr über Themen und weniger über Köpfe streiten.

2. Kohärenz der politischen Aussagen

Piratenpartei, die Partei für Netzpolitik. Die sich primär für Canabis, die Plege und das Grundeinkommen einsetzt. Ok, ich habe jetzt Inklusion, den fahrscheinlosen ÖPNV und das Fracking-Verbot unterschlagen.

Versteht mich nicht falsch: Ich halte das Engagement für diese Themen nicht für falsch. Aber dann sollte eine Gesamtüberschrift her, unter die das alles stimmig subsummierbar ist.

Wenn ich an 20 Infoständen frage, wofür die Piratenpartei steht, erhalte ich Minimum 15 völlig unterschiedliche Antworten. Welche Auswirkungen auf unsere Glaubwürdigkeit dürfte es haben, wenn wir auf dieselbe Frage völlig unterschiedliche Antworten geben?

3. Ehrlichkeit

Ja, die politischen Spielregeln verlangen es, dass man vor der Wahl ganz überzeugt beteuert, auf jeden Fall 5% zu erreichen, wenn nicht gar 13,37%. Nach der Wahl ist die Glaubwürdigkeit dann halt „etwas“ lädiert.

Aber hey, seit wann halten wir uns an solche Spielregeln? Wurden wir gefragt, als sie eingeführt wurden. Was spricht denn dagegen, ganz offen und ehrlich zu sagen, dass wir wohl ziemlich desaströs abschneiden werden?

Ich halte „Ehrlichkeit in der Politik“ für eine ziemlich unbesetzte Marktlücke. Wir werden damit nicht alle überzeugen, aber diejenigen, die wir damit überzeugen, werden uns ziemlich dankbar dafür sein, dass wir ihnen dieses Angebot machen.

Hat es uns damals geschadet, als wir ganz offen eingeräumt haben, zu diesem oder jenem Themen noch keine Meinung gebildet zu haben? Wird es uns jetzt schaden, wenn wir offen einräumen, dass wir gerade mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben? Dass die Lage ernst, aber nicht aussichtslos ist? Dass wir dieses oder jeder ziemlich verbockt haben und jetzt versuchen, es besser zu machen?

Wie eingangs geschrieben: So besonders schwer ist das gar nicht. Nur unbequem.

6 Gedanken zu „Glaubwürdigkeit“

  1. Die Überschrift zu Punkt 2 heisst einfach Freiheit, Transparenz und Teilhabe. Damit lässt sich das Engagement zu all diesen Themen begründen …

  2. Moin! Du schreibt manch Richtiges. Bei dem Satz aber „…die sich primär für Cannabis, die Pflege und das Grundeinkommen einsetzt.“ gilt für mich, daß ich aus meiner beruflichen Erfahrung heraus weiterhin für eine bessere Pflege bezw. Gesundheitspolitik eintrete; denn dies geht alle Menschen an, besonders jene in Not. Und beim Thema Fracking haben wir in Schleswig-Holstein sehr gut mit den Bürgerinitiativen zusammen gearbeitet. Na gut, es hat uns zwar aus dem LT gekickt, aber nur Netzpartei hätte uns auch nicht auf dem Land geholfen. Das Problem waren aber nicht die Themen, sondern die mediale „Unsichtbarkeit“ der Piraten. Hier gilt es anzusetzen, um dem erstaunten Satz der Wähler „Was, euch gibt es noch?!“ entgegen zu treten.

    1. Bis dahin haben wir ja überhaupt keinen Dissens.

      Nun vertrete ich die These, dass der Schirm „Netzpolitik“ nicht weit genug aufspannt, als dass da auch solche Themen drunter passen, und wir daher einen größeren Schirm brauchen.

      1. Die ÖA kann nur das veröffentlichen, was ihr zugearbeitet wird.
        Für manche Themen z.B. Cannabis oder fahrscheinloser ÖPNV treiben einzelne die Themen voran.
        Viele AGs /AKs sind inaktiv und z.B. für digitale Themen oder Netzpolitik findet sich kaum einer, der mal was zu Veröffentlichung vorbereitet.
        Ohne eine Belebung der politischen AGs/AKs wird es nicht gehen. Aber inzwischen hat das Personalproblem in der Bedeutung mit den anderen Problemen wie z.B. Strukuren, Infrastruktur etc. gleichgezogen.

  3. Moin Michael,
    Seit Jahren kritisiere ich menschliche Schwächen in der Piratenpartei und forderte eine „Reform“.
    Ich hatte mit dieser Forderung nach einer grundlegenden Reform innerhalb der Partei bevor man weitere Ziele im außen verfolgt ein Alleinstellungsmerkmal. Auch Du hast mir mehrfach gesagt, „ja schön und gut, könnte man machen aber lass und erst einmal .* und dann … “

    Seit dem 24.09.2017 so etwa gegen 22.30 Uhr mehren sich die Stimmen, die die Piraten retten wollen.

    Was hat sich verändert?

    Nichts hat sich verändert.

    Wie wird eine grundlegende Reform der Piratenpartei aussehen, wenn sie von den Leuten durchgeführt wird, die bis vorgestern Abend noch die Hoffnung hatten, die Talsohle sei durchschritten, es geht ohne Aufarbeitung der Fehler – durch welches Wunder verursacht? –
    bergauf?

    Hat die Piratenpartei nur ein Strukturproblem? fehlen Tools, Geld, fähige belastbare Menschen die die Arbeit leisten oder fehlen Visionen und gute Ideen?

    Ihr habt ein Wahrnehmungsproblem. Untersucht bitte mal, wie es passieren konnte, das ihr NICHT bemerkt habt, das der Laden gegen die Wand fährt und warum er das getan hat. Wo sind die Leute , die nachweislich die Notbremse gezogen haben?

    Im stillen Kämmerlein zu sitzen und leise im 4 Augen Gespräch an Mensch und Methode zu zweifeln, reichte offensichtlich nicht aus.

    Teures Lehrgeld.

    Was vermutet ihr wird passieren, wenn ihr jetzt beginnt den Schaden zu analysieren und beginnt nachzubessern?

    1. Ja Uwe, Du hast das mehrfach gefordert. Vor den vier Landtagswahlen wäre es nicht der richtige Zeitpunkt gewesen.

      Nach NRW habe ich vorgeschlagen (siehe http://computerdemokratie.de/2017/05/14/10-thesen-zur-situation-und-zur-zukunft-der-piratenpartei/), auf die Bundestagswahl mehr oder weniger zu verzichten und statt dessen die Partei neu aufzustellen. Eine Mehrheit hat sich nicht für diese Idee begeistert.

      Und natürlich haben viele Piraten gemerkt, dass der Laden gegen die Wand fährt. Das heißt noch lange nicht, dass sie in der Lage gewesen wären, das zu ändern.

      Die Frage ist, wie man nun mit der Situation umgeht. Mit SÄA003 gibt es die Möglichkeit, ein Organ zu schaffen, das Diskussion und Entscheidungskompetenz zusammenbringt. Mit einem solchen Tool (insbesondere mit der Möglichkeit der Untersuchungsausschüsse) könnte man das Thema „Aufarbeitung“ angehen. Ich bin aber nicht besonders optimistisch bezüglich einer 2/3-Mehrheit.

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