Eine Antwort auf Martin Oetting

Martin Oetting hat in einem Blogpost das Grundeinkommen als eine politische und gesellschaftliche Bankrotterklärung bezeichnet. Da meine Anwort darauf etwas länger ausfallen wird, will ich sie nicht in die Kommentarfunktion quetschen.

Vorab: Zum Thema „BGE“ gibt es sehr viele unterschiedliche Vorstellungen, und nicht alle halte ich für seriös. Und: Bei vielen Antworten beziehe ich mich auf das von mir gerechnetes Grundeinkommensmodell Sozialstaat 3.0.

Zu den Thesen von Martin Oetting im Einzelnen:

Selbst 1000 Euro reichen nicht für ein würdevolles Leben.

Wie hoch ein Grundeinkommen auf lange Sicht sein wird, kann niemand seriös prognostizieren – auch nicht, wie hoch die Kaufkraft von 1000,- Euro dann sein wird. Die Diskussion darüber lohnt also nicht.

Das Modell „Sozialstaat 3.0“ geht auch nicht davon aus, die Lösung für alle Zeiten, insbesondere für nach dem Ende der „Arbeitsgesellschaft“ zu sein. Es ist ein Modell für den schnellen Einstieg, es ist vorgesehen, dass bisherge ALG2-Empfänger ein wenig bessergestellt werden, aber halt nicht viel. Ohnehin sollen die Brutto-Netto-Verläufe nahe am status quo bleiben – alles andere lässt sich ohnehin nicht seriös prognostizieren.

Die Vorteile für ALG2-Empfänger wären primär folgende:
* Kein Arbeitszwang, keine Sanktionen
* Keine Verwertungszwang für eigenes Vermögen
* Geringere Abzüge bei Hinzuverdienst (nur Abzüge vom Wohngeld, und dann prozentual nur etwa halb so viel wie derzeit, Details siehe beim Konzept).

Ob die Summe einem ALG2-Empfänger für ein „würdevolles Leben“ reicht? Keine Ahnung, aber wenn es nicht reicht, dann reicht ALG2 erst recht nicht und hat noch schlechtere Begleitumstände.

Finanzierung: Abschaffung des Sozialstaates

Ja, es gibt so „Spezialisten“, welche die Mittel für den Sozialstaat in ein BGE umverteilen wollen. Das würde spätestens in Karlsruhe scheitern.

Tatsächlich macht ein Grundeinkommen einige Sozialleistungen entbehrlich (ALG2, Kindergeld, Bafög…), aber die großen Brocken Rente und Krankenkasse wird man bestehen lassen müssen. Im Modell „Sozialstaat 3.0“ wird zudem noch die Arbeitslosenversicherung weitergeführt, weil es in ihr bewährte arbeitsmarktpolitische Instrumente (Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld…) gibt, die man nicht ohne Not aus der Hand geben sollte, und weil beim Verlust des Arbeitsplatzes viele Kosten nicht von heute auf morgen reduziert werden können, so dass ein sich am letzten Einkommen orientierendes Arbeitslosengeld durchaus sinnvoll ist.

Dann noch ein Hinweis, warum es eine gute Idee ist, dass diejenigen, die anderes Einkommen haben, auch ein Grundeinkommen bekommen: Verwaltungsvereinfachung. Die „Sozialleistung“ für Einkommensbezieher ist im Moment der Grundfreibetrag und die Steuerprogression (auch der Millionär fängt mit dem Eingangssteuersatz an…). Ersetzt man das durch Grundeinkommen und Flat Tax, so kommt das näherungsweise auf dasselbe hinaus, aber es muss kein Arbeitnehmer mehr veranlagt werden, und es müssen keine Sozialleistungen mehr beantragt und bewilligt werden.

Wirtschaftliche Auswirkungen: Inflation und Lohndumping

[Zitat]Aber nehmen wir also an, alle bekommen jetzt 1.000 EUR (mehr).[/Zitat] Nein, das nehmen wir bitte jetzt nicht an. Wenn das Geld nicht „gedruckt“ werden soll (heutzutage muss man ja nicht mal mehr drucken), muss das an anderer Stelle eingesammelt werden, z.B. durch höhere Steuern. Also hat nicht jeder Betrag X mehr. Ein Grundeinkommensmodell lässt sich nur dann seriös prognostizieren, wenn die Brutto-Netto-Verläufe nahe am status quo bleiben, es sich also erst mal sehr wenig ändert. Und auch „danach“ wird man nur das auszahlen können, was einem anderen (durch Steuern) weggenommen wurde – daraus ergibt sich keine Inflationsgefahr (was nicht heissen muss, dass es nicht trotzdem zu Inflation kommt, halt aus anderen Gründen).

Zum Thema Lohndumping: Ich habe jetzt exakt die umgekehrte Sorge, dass nämlich die Arbeitnehmer nicht mehr jeden Lohn akzeptieren, „Hauptsache nicht HartzIV“. Aus diesem Grund ja auch die Entlastung von den Arbeitgeberbeiträgen Krankenversicherung im Modell „Sozialstaat 3.0“, damit eben da keine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Wobei: Solange die Brutto-Netto-Verläufe nahe am status quo bleiben, sollte sich da auch nicht allzuviel ändern.

Es wird auch nicht komplett die Arbeit ausgehen, sondern es wird so nach und nach eine Verlagerung von Erwerbsarbeit zu nicht bezahlter Tätigkeit (Kinder erziehen, Angehörige pflegen, ehrenamtliches Engagement…) kommen.

Politik: die Wirtschaft erringt den Endsieg über die Politik

Abgesehen davon, dass ich den Begriff „Endsieg“ eher vermeiden würde: Kein Unternehmen ist daran interessiert, dass auf breiter Front die Kaufkraft und damit die Nachfrage einbricht. Es gibt zwar (verständlicherweise) die Bestrebungen, die eigenen Lohkosten niedrig zu halten (aber auch nicht so niedrig, dass alle fähigen Mitarbeiter zum Wettbewerb abwandern), aber zu unterstellen, die Unternehmen würden das als gesamtgesellschaftliches Vorgehen fordern, unterstellt, dass die nicht weiter als von Zwölf bis Mittag denken.

Ohnehin zeigt die Erfahrung, dass die Sozialleitungen kleiner und finanziell schwacher Gruppen leichter nicht angepasst werden als diejenigen großer Gruppen – die Politik braucht halt nicht nur Firmenspenden, sie braucht noch viel dringender Wähler. Ich erinnere, dass die eigentlich vorgesehene Kürzung der Renten vor ein paar Jahren eben nicht durchgeführt wurde, weil die Rentner doch eine etwas zu große Gruppe sind, um die zu verärgern. Die Grundeinkommensbezieher wären dann die noch deutlich größere Gruppe.

Im Gegenteil: Das Grundeinkommen ist gerade in wirtschaftlich schweren Zeiten der starke Hebel, um antizyklisch agieren zu können (siehe auch meine Ausführungen zu Grundeinkommen und Volkswirtschaft).

Gesellschaft (1): die Illusion von der Freiheit

Der Mensch hat sich im Laufe der Geschichte als enorm anpassungsfähig erwiesen. Es gab Zeiten, in denen eine 80-Stunden-Woche normal war, das ist keine 100 Jahre her. Heute kommen die Beschäftigten mit unter 40 Stunden pro Woche klar. Und manche machen sogar nur einen Halbtagsjob – und kommen mit dieser Freiheit klar. In die Gesellschaft kann man sich auch anders einbringen als mit einer Vollerwerbsstelle.

Das „Problem“ stellt sich jedes Jahr tausenden „Vollzeitmüttern“, wenn die Kinder dann endgültig aus dem Haus sind. Und den Arbeitsnehmern, wenn sie in Rente gehen. Und nach meiner Beobachtung kommt die weit überwiegende Mehrheit mit dieser Freiheit klar, und ein nicht geringer Teil tut dann etwas gesellschaftlich Sinnvolles.

Gesellschaft (2): die Illusion von Gleichheit

Auf lange Sicht ist es sicher sinnvoll, das den Markt regeln zu lassen: Wenn die Menschen dann von München nach Bremerhaven ziehen, dann steigen dort die Mieten und in München werden sie sinken. Für eine „von jetzt auf gleich“-Lösung taugt das natürlich nichts. Von daher soll im Modell „Sozialstaat 3.0“ das Wohngeld in Abhängigkeit vom örtlichen Mietniveau gezahlt werden.

Und natürlich wird auch ein Grundeinkommen nicht alle finanziellen Unterschiede einebnen. Es ist ein Grundeinkommen, kein Volleinkommen. Bei brauchbaren Modellen wird in die richtige Richtung umverteilt, von einkommensstark nach einkommensschwach, von den Singles zu den Familien, aber alles mit Augenmaß, damit die einkommensstarken Personen nicht die Lust verlieren und abwandern – ein auskömmliches Grundeinkommen lässt sich nur dann finanzieren, wenn nicht die Besteuerungsgrundlage wegbricht.

Die finale Abspaltung der Wirtschaft in ihre eigene Sphäre

„Die Wirtschaft“ als eigenes Objekt gibt es gar nicht, es gibt Unternehmen, und diese sind nicht „dem Markt“ Rechenschaft schuldig, sondern ihren Eigentümern, als Inhabern, Gesellschaftern, Aktionären oder Genossen. Es gibt da durchaus Entwicklungen, die nicht in die richtige Richtung gehen, aber da sehe ich das Problem vor allem bei den Aktienfonds. Warum ein Grundeinkommen hier zum Problem sehen soll, sehe ich nicht, und ich kenne auch kein einziges Grundeinkommensmodell, welches ein Ende der betrieblichen Mitbestimmung fordert.

Eine komplexe Debatte über Teilhabe, Lebenssinn, Demokratie — statt eines einfachen fiktionalen Allheilmittels

Ich habe so meine „Baumschmerzen“, wenn die Politik oder „die Gesellschaft“ das Thema „Lebenssinn“ diskutieren oder gar regeln möchte – eine Debatte über Teilhabe und Demokratie führe ich dagegen gerne.

Und ja, es gibt auch Grundeinkommensbefürworter, die darin ein Allheilmittel sehen. Wie sagte Gregor Gysi mal so schön: „10% Irre gibt es überall“.

Es gibt aber auch die anderen: Die das nicht als Allheilmittel sehen, die dann nicht gleich den gesamten Sozialstaat über Bord werfen möchten, die keine Zahlen abseits jeglicher volkswirtschaftlichen Realität in die Welt setzen. Aber gegen die zu argumentieren ist dann halt nicht mehr ganz so einfach.

3 Gedanken zu „Eine Antwort auf Martin Oetting“

  1. Entschuldigung, dass ich mich hierzu noch nicht gemeldet habe — ich hoffe, dass es mir kommende Woche gelingt, das verschiedene Feedback zu meinem Text durchzugehen und dann auf die Punkte einzugehen.

  2. Logische Argumente. Ich würde noch weiter gehen:
    Sozialstaatliche Elemente nicht ersetzen, sondern (Schritt für Schritt) ablösen, da mit steigendem BGE Ansprüche wegfallen:

    Das Start-BGE noch niedriger ansetzen und dann rückgekoppelt steigern. Natürlich sollten Sanktionen bei ALG und Rente parallel beseitigt und Steuern reformiert werden.

    BTW kann jede Ebene subsidiär ein BGE installieren (Kommune, Land, Bund, EU,…).
    Es wird sich IMO ein Optimum einpegeln – wenn es dem politischen Willen entspricht – und das ist immer die Voraussetzung.

    Weitere volkswirtschaftliche Aspekte (neben den Angesprochenen) sind zu beachten. Sehr komplex. Nicht Alles lässt sich simulieren. Ein Kopfsprung in ein „existenzsicherndes“ BGE ist schon deshalb abwegig.

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