Der Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich nicht nur durch einen hohen Finanzbedarf, sondern auch durch einen hohen Verwaltungsaufwand aus. Einen unnötig hohen Verwaltungsaufwand: Er dient nicht dazu, dass die Menschen möglichst gut sozial abgesichert sind, dem Ziel der Einzelfallgerechtigkeit kommt man selten näher, und volkswirtschaftlicher Mehrwert wird dadurch schon gar nicht geschaffen.
Ein gewichtiger Aspekt ist dabei, dass durch die hohe Parallelität von Einzelmaßnahmen ein Komplexität entsteht, die dazu führt, dass Gesetzgeber und Verwaltung (und erst recht die davon betroffenen Bürger) den Sozialstaat nur noch teilweise verstehen. Ich erinnere mich noch an eine Podiumsdiskussion Ende des letzten Jahrhunderts, in welcher der damalige Vorsitzender des CDU-Sozialausschusses und Bundestagsabgeordnete Ulf Fink wörtlich „da schaut keiner mehr durch“ sagte. (Auf meine Frage, was er gedenke zu unternehmen, damit das wieder besser werde, kam dann eine eher ausweichende Antwort…) Und das war noch vor den handwerklich schlechten rot-grünen „Reformen“ (wie z.B. Hartz IV).
In diesem Beitrag soll ein Vorschlag gemacht werden, wie das Steuer- und Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland vereinfacht und entbürokratisiert werden kann. Konkret soll an den folgenden Punkten angesetzt werden:
1. Die Zahl der unterschiedlichen Sicherungssysteme, die unterschiedlichen Anspruchsberechtigten näherungsweise dasselbe Existenzminimum zur Verfügung stellen, soll durch Zusammenfassung deutlich reduziert werden.
2. Der Wettbewerb der Krankenkassen führt nur zu einem Wettbewerb um die „guten Risiken“, was dann umständlich wieder ausgeglichen werden muss. Der Wettbewerb führt weder zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung, noch zu geringeren Kosten (ganz im Gegenteil).
3. Die steuerliche Progression verhindert die quellennahe Abschöpfung von Einnahmen und führt zu einem unnötig hohen Aufwand bei der Veranlagung. Diese Progression führt auch dazu, dass sich Fragen wie Ehegattensplittung überhaupt stellen.
4. Die in Gewerbesteuer, ggf. Körperschaftssteuer und Einkommensteuer getrennte Unternehmensbesteuerung führt dazu, dass ein und dasselbe Unternehmen mehrmals veranlagt werden muss. Zudem führt die Gewerbesteuer nur zu einem Subventionswettbewerb der Gemeinden.
Der ausgezahlte Steuerfreibetrag
Die Steuerprogression kann mit Hilfe einer Flat Tax vermieden werden. Allerdings kennt eine solche Flat Tax auch keinen Steuerfreibetrag, was zu einer Besteuerung des Existenzminimums führen würde. Dass wäre nicht nur sozial ungerecht, sondern nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch verfassungswidrig.
Wird jedoch den Menschen der mindestens der Anteil des Existenzminimums ausgezahlt, der dem Steuersatz der Flat Tax entspricht, so wird in Kombination das Existenzminimum steuerfrei gestellt und es stellt sich in Kombination auch eine progressive Besteuerung ein.
Es soll hier vorgeschlagen werden, allen Erwachsenen 75% des steuerlichen Existenzminimums und allen Kindern und Jugendlichen 100% des steuerlichen Existenzminimums (Kinderfreibetrag und Betreuungsfreibetrag) als so genannter Ausgezahlter Steuerfreibetrag (ASF) in monatlichen Raten auszuzahlen. (Auf Zahlen 2015 wären das 529,50 Euro pro Monat und Person für Erwachsene und 596,00 Euro für Kinder und Jugendliche.)
Gleichzeitig sollen eine Flat Tax von 45% auf alle Einkommen (auch Unternehmensgewinne) erhoben werden. Diese Flat Tax soll auch die Gewerbesteuer ersetzen, die Gemeinden sollen durch eine entsprechenden Anteil gemäß der Einwohnerzahl finanziert werden.
Für Menschen ohne Einkommen stellt dieser ausgezahlte Steuerfreibetrag eine Sozialleistung dar, welche andere Leistungen wie Arbeitslosengeld 2, Kindergeld, Erziehungs- und Elterngeld sowie Bafög überflüssig macht. Sie sollen dann entfallen.
Dadurch, dass der ausgezahlte Steuerfreibetrag allen hier lebenden Menschen zufließt, muss eine Anspruchsberechtigung nicht weiter geprüft werden. Nennenswerte Bürokratie fällt dabei nicht an, es muss lediglich bei der Geburt eines Menschen ein Dauerauftrag eingerichtet werden, der bei Volljährigkeit auf das eigene Konto umgestellt und beim Tod wieder gekündigt werden muss.
Wohngeld
Da der ausgezahlte Steuerfreibetrag alleine nicht existenzsichernd ist, und um das in Deutschland sehr unterschiedliche Mieten-Niveau etwas zu kompensieren, sollen Erwachsene ohne oder mit geringem Einkommen ein Wohngeld als zusätzlichen Sozialtransfer bekommen, das vom örtlichen Mietniveau abhängt. Bei einem durchschnittlichem Mietniveau geht dieser Vorschlag von Wohngeldzahlungen in Höhe von 350,- Euro pro erwachsener, einkommensloser Person aus. In Städten mit einem überdurchschnittlichem Mietniveau wird höheres Wohngeld gezahlt, in Städten mit unterdurchschnittlichem Mietniveau ein geringeres.
(Kinder und Jugendliche sind hier nicht berücksichtigt, da 100% deren Existenzminimum als ausgezahlter Steuerfreibetrag ausgezahlt wird und somit die Kosten der Unterkunft damit gedeckt sind.)
Der Nachweis der Bedürftigkeit soll einfach und datensparsam erfolgen. Eigenes Einkommen wird zu einem Drittel (33,3%) des Nettoeinkommens (Einkommen nach Steuern und ggf. Sozialversicherungsbeiträge) auf den Wohngeldanspruch angerechnet, so dass beim Leistungsempfänger ein Arbeitsanreiz verbleibt. Eigenes Vermögen bleibt unberücksichtigt. Sanktionen sind nicht vorgesehen, jedoch ist zu unrecht erhaltenes Wohngeld zurückzuzahlen.
Umstellung des Steuersystems auf eine Flat Tax
Wie vorhin bereits ausgeführt, soll eine Steuer mit konstantem Steuersatz („Flat Tax“) von 45% auf alle Einkommen erhoben werden. Zusätzlich soll es einen Solidarzuschlag von 5% des Einkommens für nicht sozialversicherungspflichtige Einkommen geben. Solche Einkommen sind Kapitalerträge und Unternehmensgewinne, aber auch Gehälter jenseits der Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungen. Solche Einkommen werden dann faktisch mit einer Flat Tax von 50% (45% + 5%) besteuert. Damit berücksichtigt diese Vorschlag auch das, was das Bundesverfassungsgericht mit dem Halbteilungsgrundsatz skizziert hat.
Mit 50% werden auch Alterseinkünfte versteuert, gemäß dem Prinzip der nachgelagerten Besteuerung jedoch nur derjenige Teil, dessen Beitragszahlungen aus unversteuertem Einkommen stammt, im Jahr 2015 also 70% (das Prinzip ist unter http://de.wikipedia.org/wiki/Rentenbesteuerung erklärt). Da der Steuerfreibetrag selbstverständlich auch Rentnerinnen und Rentnern ausgezahlt wird, erfolgt insgesamt eine Besserstellung dieser Personengruppe, insbesondere dann, wenn sie derzeit eine geringe Rente beziehen. Das Problem nicht existenzsichernder Altersrenten wird dadurch massiv abgemildert.
Besteuerungsgrundlage ist das gesamte Volkseinkommen (2263 Mrd Euro im Jahr 2015), es sollen also umfänglich steuerliche Ausnahmetatbestände gestrichen werden (“Verbreiterung der Bemessensgrundlage”). Um Effekte wie Steuerhinterziehung und Zahlungsunfähigkeit von Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, rechnet dieser Vorschlag auf der Finanzierungsseite mit einem “Steuerschwund”. Dieser beträgt bei Arbeitnehmerentgelten 1%, bei Unternehmensgewinnen und Kapitalerträgen 6% (als Mittelwert von 2% bei Unternehmensgewinnen und 10% bei Kapitalerträgen). Insgesamt sind in der Finanzierungsrechnung Steuerausfälle von 58,8 Mrd Euro berücksichtigt. Abzüglich des bisherigen Steueraufkommens aus Einkommens-, Körperschafts- und Gewerbesteuer ergeben sich somit Mehreinnahmen von 797,3 Mrd Euro.
Diese Mehreinnahmen resultieren vor allem daraus, dass das Steuersystem nun nominell keinen Grundfreibetrag und keine Progression mehr kennt. Diese werden durch den ausgezahlten Steuerfreíbetrag ersetzt, über das 532,6 Mrd Euro ausgeschüttet werden. In Kombination von ausgezahltem Steuerfreibetrag und Flat Tax ergibt sich im Endeffekt ein progressiver Verlauf, auch wenn in den einzelnen Komponenten eine solche Progression nicht enthalten ist.
Der Verzicht auf eine Progression in der nominalen Besteuerung führt dazu, dass das Steuersystem massiv vereinfacht und entschlackt werden kann. Die Steuern können mehrheitlich direkt an der Quelle erhoben werden, die weit überwiegende Zahl der Einkommensempfänger braucht dann überhaupt nicht mehr veranlagt werden.
Im Rahmen dieser Umstellung soll auch die Gewerbesteuer entfallen, die Gewerbebetriebe zahlen dann eine Flat Tax, deren Steuersatz über der heutigen Körperschaftssteuer liegt. Die Gewerbesteuer ist ohnehin eine deutsche Besonderheit, die es in den meisten anderen Ländern so nicht gibt, ihre Abschaffung ist somit ein Beitrag zur Steuerharmonisierung. Die einzelnen Gemeinden – die bisherigen Empfänger der Gewerbesteuer – sind mittels Direktzuweisungen entsprechend der Einwohnerzahl aus dem Aufkommen der Flat Tax zu alimentieren. Damit würde die finanzielle Ausstattung der einzelnen Kommunen gleichmäßiger, zudem würde auch der unsägliche Subventionswettlauf zur Ansiedlung von Gewerbesteuerzahlern entfallen. (Art 28 GG müsste dafür auf die ursprüngliche Fassung zurückgesetzt werden.)
Unternhemensgewinne werden derzeit mit Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und – bei der Ausschüttung der Gewinne – mit Einkommenssteuer des Gesellschafter besteuert. Je nach Steuerprogression des Ausschüttungsempfängers kommen von 100% Unternehmensgewinn vor Steuern derzeit etwa 51,5% nach Steuern beim Gesellschafter an. Durch diesen Vorschlag würden Unternehmensgewinne mit 50% (45% + 5%) besteuert, aber dann steuerfrei an den Gesellschafter ausgeschüttet. Dieser Vorschlag hebt damit die Besteuerung in diesem Segment an, tut dies aber sehr maßvoll, um nicht unnötig Gründe zur Unternehmensverlagerung zu schaffen.
Einsparungen im Sozialetat
Der ausgezahlte Steuerfreibetrag soll verschiedene bisherige Sozialleistungen ablösen und damit ebenso wie den damit verbundenen Verwaltungsaufwand überflüssig machen, namentlich Arbeitslosengeld 2 und Sozialgeld, Kindergeld, Bafög, Wohngeld nach dem bisherigen Gesetz sowie Erziehungs- und Elterngeld. Zudem ist bei Personen, die bislang Sozialhilfe bekommen, das Entsprechende gegenzurechnen.
Im Bereich der Beamtenbesoldung gibt es bislang Familien- und Kinderzuschläge. Vor dem Hintergrund, dass durch unser Modell insbesondere die Familien und Kinder finanziell bessergestellt werden und ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem eingeführt wird, werden diese Zuschläge entbehrlich.
Insgsamt können Einsparungen in Höhe von 109,479 Mrd Euro realisiert werden.
Die Zukunft der Sozialversicherungen
Nach diesem Vorschlag soll die Renten- und Arbeitslosenversicherung als paritätisch finanzierte Sozialversicherung weitergeführt und die Kranken- und Pflegeversicherung auf ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem umgestellt werden. Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sollen 20% betragen, wobei zunächst 17% in die Renten- und 3% in die Arbeitslosenversicherung fließen.
Die paritätisch finanzierte Rentenversicherung hat sich seit über 100 Jahren als verlässliche Altersversorgung etabliert und zwei Weltkriege überstanden. Diese sozialpolitische Errungenschaft soll nicht ohne Not aufgeben werden. Die Arbeitslosenversicherung federt die Erstfolgen einer Arbeitslosigkeit ab und stellt bewährte Instrumente zur Arbeitsmarktpolitik bereit (Schlechtwettergeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld).
Die Sozialversicherungen stehen derzeit nicht nur wegen der demographischen Entwicklung unter Druck: Mit dem Schwund sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse wird zusätzlich die Basis der Beitragszahler geschmälert. Deshalb sieht dieser Vorschlag vor, Einkommensanteile, die nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen (Unternehmensgewinne, Kapitalerträge, Arbeitnehmerentgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze), mit einem sogenannten Solidarzuschlag zur Einkommenssteuer zu besteuern. Dadurch werden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zu nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wieder attraktiver und damit die Sozialversicherungen stabilisiert.
Durch die Umstellung der Kranken- und Pflegeversicherung auf ein steuerfinanziertes System sinken massiv die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und damit die Lohnnnebenkosten, was insbesondere bei lohnintensiven Betrieben zunächst eine deutliche Entlastung bringt. Dies ist letztlich aber kein “Geschenk an die Arbeitgeber”: Durch die Besserstellung von Geringverdienern und insbesondere Familien sind Arbeitnehmer weniger erpressbar, zudem haben wir durch den Wegfall der Sanktionen bei ALG 2 keinen äußeren Druck mehr, schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse einzugehen. Dies wird durch die geringere Anrechnung von Hinzuverdienst zwar zu einem erheblichen Teil kompensiert, vielleicht aber nicht vollständig, so dass zumindest in einigen Branchen etwas höhere Löhne gezahlt werden müssten. Um hier keine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, soll hier im Gegenzug eine gezielte Entlastung geschaffen werden. Sollte diese Entlastung in einigen Branchen nicht zu höheren Löhnen, sondern zu weniger Rationalisierungdruck und somit zu insgesamt mehr Beschäftigung führen, wäre dies auch kein Schaden.
Finanzierung
Wie im verlinkten CalcSheet zu sehen ist, kommt bei diesen Zahlen ein Deckungsüberschuss von 53,5 Mrd Euro pro Jahr heraus. Dieser Vorschlag hat also durchaus „Sicherheits-Reserven“ bezüglich zu optimistischer Annahmen. Sollte sich der Deckungsüberschuss tatsächlich in dieser Größenordnung realisieren lassen, wird der Bundestag nicht um Ideen verlegen sein, das Geld über Steuersenkungen oder Mehrausgaben wieder los zu werden.