de mortuis nil nisi bene – Über Tote nichts als Gutes. Dass diese Regel auf Latein formuliert ist, zeigt uns, wie lange sie schon existiert.
Nach meiner Einschätzung gibt es dafür drei Gründe: Erstens sollte man generell über Abwesende nicht schlecht reden. Das ist einfach ein Gebot der Fairness, wer nicht da ist, kann sich nicht verteidigen, nicht Dinge richtigstellen, nicht auf unberücksichtigte Abspekte hinweisen.
Man sollte dieses Prinzip nicht verabsolutieren – natürlich muss es möglich sein, über z.B. Personen des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Wenn zum Beispiel ein Parlament zu wählen ist, dann kommt es nicht nur auf Wahlprogramme an (bei Lichte betrachtet kommt es so gut wie überhaupt nicht auf Wahlprogramme an, weil deren Haltbarkeitsdatum am Wahlsonntag Punkt 18:00 Uhr abläuft), sondern auch auf die Menschen, die da als Kandidaten gewählt werden sollen oder eben nicht. Diese können nicht bei jeder Diskussion mit dabei sein, das darf vernünftigerweise nicht die Diskussion über diese Personen verhindern. Aber sobald jemand nicht mehr lebt, fallen solche Erfordernisse weg.
Der zweite Grund: Differenzen zwischen Menschen sollten irgendwann ein Ende haben. Bei aller berechtigten Kritik, irgendwann sollte man es auch mal gut sein lassen. Welchen Sinn sollte es haben, seine Konflikte über den Tod des Anderen hinaus fortzusetzen.
Der dritte Grund: Jeder Mensch, sei er noch so schlecht gewesen, mag man noch so viel berechtigte Kritik an ihm üben, hat Personen, die ihm nahestehen: Familie, Freunde, Kollegen. Es ist ein Gebot der Menschlichtkeit, denen die Phase der Trauer mit Kritik am Verstorbenen nicht auch noch zu erschweren. Der dritte Grund weist dann auch einen Weg, wann bei Personen der Geschichte dann die Kritik wieder erlaubt sein muss: Dann, wenn diese Phase der Trauer üblicherweise abgeschlossen ist, also nach etwa einem Jahr.
Und wenn einem zu einem Verstorbenen nichts Gutes einfällt, dann ist es ja durchaus erlaubt, pietätvoll zu schweigen.
Tote können sich nur durch Lebende wehren…also irgendwie doch.
Was die Geschichtsschreibung betrifft, die wird von den Lebenden (i.d.R. den Siegern) geschrieben. So ist sie dann auch.
Nein, Tote sind erst tot, wenn keiner mehr über sie redet, egal ob gut oder schlecht!
Und wer sich ein Bild darüber machen will, wie ein Toter gewirkt hat, muss Gutes und Schlechtes verarbeiten, das geht nicht, wenn nur Gutes übrig bleibt. Also, es bleibt nur das Streben nach Objektivität – auch wenn man – entsprechend der Situation vom De-mortuis-nil-nisi-bene Gebrauch macht, muss man auch das Schlechte reflektieren. Am besten lernt man – nach einem anderen Sprichwort – aus den Fehlern der Anderen…