Sozialstaat 3.0 (Versionsstand 1.6 b)

ein Modell von Michael Ebner (unter Mitwirkung der Sozialpiraten Johannes Ponader und Olaf Wegner)

Wofür dieser Vorschlag?

Die Piratenpartei Deutschland hat auf dem Bundesparteitag in Neumarkt Schritte hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen beschlossen. Insbesondere wird dort die Forderung erhoben, dass ein Grundeinkommen seriös zu finanzieren ist und lieber mit vorsichtigen Annahmen zu starten ist.

Ein solcher Start mit vorsichtigen Annahmen ist dieses Konzept „Sozialstaat 3.0“, das hier in einer akutalisierten Version vorgelegt wird. Bis zum Versionsstand 1.2 war dort 2009 das Referenzjahr, da einerseits aktuellere Zahlen damals nicht belastbar vorlagen, andererseits ein Grundeinkommensmodell, dass im wirtschaftlich schwierigen Jahr 2009 funktioniert, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in allen anderen Jahren funktioniert. Mit dem Versionsstand 1.3 wurde auf das Jahr 2012 aktualisiert, mit dem Versionsstand 1.4 auf das Jahr 2013/2014, mit 1.5 auf das Jahr 2014/15.

Im nun vorliegenden Versionsstand 1.6 haben wir nun dort, wo die Zahlen vorliegen, das Jahr 2016 verwendet, ansonsten das Jahr 2015. Da nicht alle Leser unsere vorherigen Versionsstände kennen, stellen wir zunächst mal nur das Konzept (mit den aktuellen Zahlen) vor. Diejenigen, die unser Modell schon länger verfolgen, verweisen wir insbesondere auf die letzten beiden Abschnitte sowie die neu hinzugefügte Vorbemerkung.

Vorbemerkung – Zur prognostischen Verlässlichkeit von Grundeinkommensmodellen

Wenn die Diskussion auf Grundeinkommensmodelle kommt, dann dreht sie sich meist sehr bald primär um die Frage, in welcher Höhe ein Grundeinkommen finanzierbar ist, meist unter dem Motto „je mehr, desto besser“. Dies ist jedoch eine Fragestellung, die zu keinem wirklichen Erkenntnisgewinn führt.

Tatsächlich ist jeder nominelle Betrag finanzierbar, egal, ob das nun 800,- oder 1000,- oder 1500,- oder 2500,- oder gar eine Million Euro pro Monat ist. Wir erinnern uns (auch wenn die meisten sie nur aus dem Geschichtsunterricht kennen) vielleicht noch an die Hyper-Inflation im Jahr 1923, mit Geldscheinen bis zu 100 Billionen (das sind 100 000 Milliarden bzw. 100 000 000 Millionen) und entsprechenden Verbraucherpreisen. Es ist wohl leicht einsichtig, dass unter solchen Umständen ein Grundeinkommen von einer Million pro Monat sowohl spielend einfach finanzierbar als auch für den Empfänger völlig uninteressant wäre, da es noch nicht einmal einen bescheidenen Beitrag zur Existenzsicherung leisten könnte.

Die interessante Frage ist also nicht die nominelle Höhe eines Grundeinkommens, sondern die dahinterstehende Kaufkraft.

Nach einem Bonmot von Ludwig Erhard ist Wirtschaft zur Hälfte Psychologie. Es lässt sich schwer bis gar nicht vorhersagen, wie sich Menschen (Verbraucher, Unternehmer…) verhalten werden, wenn die Existenz eines Jeden durch ein Grundeinkommen abgesichert ist. Ab einem gewissen Punkt sind Grundeinkommensmodelle nichts als vage Schätzungen, auch wenn sie mit einem „durchgerechneten Modell“ daherkommen. Das Problem sind hier nicht die mathematischen Berechnungen, sondern die Annahmen, auf denen sie beruhen:

  • Wie werden sich die Steuereinnahmen entwickeln, wenn die Steuersätze angehoben werden?
  • Wie wird sich die Arbeitsmotivation, wie werden sich die Löhne und Gehälter entwickeln, wenn für die Existanz durch ein Grundeinkommen gesorgt ist?
  • Welche Entwicklung werden die Verbraucherpreise nehmen?

Das hier entwickelte Modell folgt der Annahme, dass

  • wenn die Brutto-Netto-Verläufe nahe am status quo bleiben,
  • die Arbeitsmotivation (gerade bei Geringverdienern) durch das Grundeinkommen zwar grundsätzlich sinkt, aber durch die geringere Anrechnung beim Wohngeld im Gegensatz zu ALG2 dann auch wieder steigt
  • die Besteuerung der Unternehmen zwar leicht ansteigt (von 48,5% auf 50%), der Wegfall der Arbeitgebeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch die Lohnnebenkosten kräftig reduziert und damit die Unternehmensgewinne hebt

die volkswirtschaftlichen Ergebnisdaten und somit auch die Verbraucherpreise insgesamt stabil bleiben.

Da auch im Bereich der Steuereinnahmen nach dem Prinzip der kaufmännischen Vorsicht gerechnet wurde (z.B. die Abschläge für Steuerschwund) und insgesamt auch rechnerisch ein gewisser Deckungsbeitrag resultiert, ist die Finanzierbarkeit auch dann gesichert, wenn sich Annahmen schlechter entwickeln als prognostiziert.

Wir wollen mit diesem Modell nicht auch noch die letzte sozialromantische Träumerei bedienen, sondern den Kritikern und Skeptikern belastbar nachweisen, dass ein Grundeinkommen eben keine spinnerte Idee für allenfalls ferne Zukunft ist, sondern innerhalb weniger Monate umgesetzt werden könnte, sofern nur die politischen Mehrheiten dafür da sind.

Einleitung

Die Einführung eines bedingslosen Grundeinkommens würde das deutsche Steuer- und Sozialsystem grundlegend umgestalten. Da diese Veränderungen erhebliche Auswirkungen auf die volkswirtschaftlichen Ergebnisdaten und damit auf die Finanzierbarkeit eines solchen Grundeinkommens haben, soll die Umstellung auf mehrere Schritte aufgeteilt werden, die einzeln überschaubar bleiben. So können nach jedem Schritt die sich dadurch ergebenden Folgen beobachtet werden und in die Planung der folgenden Schritte einfließen.

Der hier vorgelegte Vorschlag ist als „Schritt 1“ zu verstehen. Mit ihm wollen wir ein Grundeinkommen (GE) einführen, auch wenn es sich noch nicht in einer Höhe bewegt, die wir für existenzsichernd halten. Es muss deshalb für Personen mit geringem Einkommen mit weiteren Sozialtransfers kombiniert werden.

Der hier vorgelegte Vorschlag beschränkt sich jedoch nicht darauf, ein GE einzuführen. Wir wollen zudem das Steuer- und Sozialsystem umfassend konsolidieren, damit wir eine solide Basis haben für die Veränderungen, die in den nächsten Jahrzehnten anstehen.

Der hier vorgelegte Vorschlag ist kein Konzept der Piratenpartei, sondern ein Vorschlag zur Diskussion innerhalb der Piratenpartei. Wir wollen damit nachweisen, dass dieser erste Schritt hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen seriös zu finanzieren ist. Noch nicht alle Details in diesem Vorschlag sind zu unserer eigenen Zufriedenheit gelöst, gegenüber dem Status quo werden jedoch erhebliche Fortschritte erreicht. In diesem Sinn betrachten wir unser Konzept als „besser, aber noch nicht gut“.

Prämissen

Das hier vorliegende Modell geht von den folgenden Prämissen aus:

  • Das Grundeinkommen muss insgesamt eine ausreichende Höhe aufweisen und frei von Arbeitszwang, Sanktionen oder anderen Gegenleistungen sein, ansonsten aber nicht alle vier Kriterien für ein echtes bedingungsloses Grundeinkommen voll erfüllen (Individuelle Berechnung, Bedürftigkeitsprüfung).
  • Das Modell ist auf Grundlage der Daten von 2016 (sofern vorliegend) und auf Basis des damals vorliegenden Preisniveaus entwickelt. Die Zahlen sind natürlich der Geldwertentwicklung anzupassen. Wir halten das derzeitige Steuer- und Sozialsystem für nicht mehr reformierbar (da zu kompliziert) und wollen baldmöglichst umstellen (also beispielsweise sobald der politische Wille dazu vorhanden ist zum nächsten Jahreswechsel).

Daraus folgt:

  • Das Modell muss ohne Übergangszeiträume auskommen und somit vollständig gegenfinanziert sein.
  • Es kann nicht darauf gewartet werden, bis europaweit die Steuersätze auf die gewünschten Werte hin harmonisiert werden. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland muss bei der Wahl der Steuersätze und der Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt werden. Ein Grundeinkommen in auskömmlicher Höhe kann nicht finanziert werden, wenn die Besteuerungsgrundlage wegbricht.
  • Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft kann nur dann halbwegs verlässlich abgeschätzt werden, wenn das Modell nahe am status quo bleibt. Nach einer schnellen Umstellung kann das Modell dann schrittweise und behutsam in die jeweils gewünschten Richtungen weiterentwickelt werden.

Kurzfassung
Die wesentlichen Parameter sind hier zusammengefasst und in den folgenden Abschnitten dann erläutert.

  • Ein Grundeinkommen, das an alle in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen unabhängig von einer Bedürftigkeit ausgezahlt wird. Dieses Grundeinkommen soll für Erwachsene 75% der steuerlichen Existenzminimums betragen, für Kinder und Jugendliche 100% des steuerlichen Existenzminimums (Kinderfreibetrag und Betreuungsfreibetrag). (Auf Zahlen 2016 und 12 Auszahlungsmonaten wären das 540,75 Euro pro Monat und Person für Erwachsene und 604,00 Euro für Kinder und Jugendliche.)
  • Ergänzendes Wohngeld für geringe Einkommen.
  • Einkommenssteuer, Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer werden ersetzt durch eine Flat Tax von 45%. Nicht sozialversicherungspflichtiges Einkommen wird darüber hinaus mit einem Solidarzuschlag von 5% des Einkommens besteuert.
  • Umstellung auf ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem (ersetzt Kranken- und Pflegeversicherung).
  • Fortführung von Arbeitslosen- und Rentenversicherung als paritätisch finanzierte Sozialversicherung.
  • Erhöhung des normalen MWSt-Satzes auf „glatte“ 20%
  • Wegfall von Arbeitslosengeld 2, Kindergeld, Erziehungs- und Elterngeld (diese Leistungen werden durch das Grundeinkommen abgelöst).

Grundeinkommen und Wohngeld
Unser Konzept sieht ein Grundeinkommen vor, das an alle in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen unabhängig von einer Bedürftigkeit ausgezahlt wird. Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn dieses Grundeinkommen in tatsächlich existenzsichernder Höhe ausgezahlt werden könnte. Dies ist derzeit jedoch noch nicht realisierbar.

Wir haben uns dazu entschlossen, dass wir bei den Kindern und Jugendlichen das Grundeinkommen vollständig existenzsichernd gestalten. Kinder sind nicht in der Lage für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und durch das Verbot von Kinderarbeit davor gesetzlich geschützt. Sie haben auch – anders als Senioren, die oft auch nicht mehr für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können – in der Regel weder Vermögen noch Einnahmen wie z.B. Renten.

Im Bereich der Erwachsenen wollen wir so viel auszahlen, wie wir seriös finanzieren können, das sind derzeit 75% des steuerlichen Existenzminimums, bezogen auf das Berechnungsjahr 2016 wären das 540,75 Euro im Monat, auch diese Zahl ist laufend der Inflation anzupassen.

Das Grundeinkommen soll nicht an die deutsche Staatsbürgerschaft gekoppelt sein, der Kreis der Berechtigten ist aber so abzugrenzen, dass kein „Grundeinkommenstourismus“ in signifikantem Umfang entsteht. Die genaue Ausgestaltung der Regelungen ist nicht Bestandteil dieses Finanzierungskonzeptes.

Dieses Grundeinkommen soll die folgenden Sozialleistungen ersetzen, die dann ersatzlos wegfallen:

  • Kindergeld
  • Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG2 und Sozialgeld)
  • Ausbildungsförderung
  • Erziehungs- und Elterngeld

Bei anderen Sozialleistungen wie z.B. Sozialhilfe sind zumindest Einsparungen möglich. Zudem soll im Bereich der Familienzuschläge und Beihilfen für Beamte um 18 Mrd Euro gekürzt werden, da solche Sozialleistungen nach Einführung eines Grundeinkommens entbehrlich werden.

Da das Grundeinkommen für Erwachsene in dieser Höhe nicht unserem Verständnis von „existenzsichernd“ entspricht, soll es für Personen ohne oder mit nur geringem Einkommen durch einen weiteren Sozialtransfer ergänzt werden. Diesen Sozialtransfer nennen wir Wohngeld, da wir die Höhe an das örtliche Mietniveau binden wollen. Dieses Wohngeld soll jedoch unabhängig von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft bezahlt werden. Wir wollen es der Freiheit des Einzelnen überlassen, diese Mittel zum Wohnen oder für andere Zwecke zu verwenden.

Bei einem durchschnittlichem Mietniveau gehen wir von Wohngeldzahlungen von 350,- Eurp pro erwachsener, einkommensloser Person aus. (Kinder und Jugendliche sind hier nicht berücksichtigt, da deren Wohnkosten bereits über das Grundeinkommen gedeckt sind.)

In Städten mit einem überdurchschnittlichem Mietniveau wird höheres Wohngeld gezahlt, in Städten mit unterdurchschnittlichem Mietniveau ein geringeres.

Der Nachweis der Bedürftigkeit soll einfach und datensparsam erfolgen. Eigenes Einkommen wird zu einem Drittel (33,3%) des Nettoeinkommens (Einkommen nach Steuern und ggf. Sozialversicherungsbeiträge) auf den Wohngeldanspruch angerechnet, so dass beim Leistungsempfänger ein Arbeitsanreiz verbleibt. Eigenes Vermögen bleibt unberücksichtigt. Sanktionen sind nicht vorgesehen, jedoch ist zu unrecht erhaltenes Wohngeld zurückzuzahlen.

Unter der Adresse Brutto-Netto-Rechner ist ein Kalkulator zu finden, mit dem in Abhängigkeit von Haushaltsgröße und Bruttoeinkommen das Haushaltseinkommen berechnet werden kann.

Umstellung des Steuersystems auf eine Flat Tax
Wir wollen zur Finanzierung dieses Systems einen einheitlichen Steuersatz („Flat Tax“) auf alle Einkommen von nominell 45%. Diese Steuer ersetzt die bisherige Einkommenssteuer, die Körperschaftssteuer und die Gewerbesteuer. Für sich genommen halten wir die Flat Tax für nicht sozial. In Kombination mit dem Grundeinkommen entsteht jedoch de facto wieder ein progressiver Verlauf und damit die erwünschte höhere Belastung höherer Einkommen.

Vom Netto-Einkommen her ist dieses Modell äquivalent zu einer negativen Einkommenssteuer. Eine negative Einkommenssteuer muss jedoch in jedem Einzelfall veranlagt werden, während bei einer Kombination von Flat Tax und Grundeinkommen die weit überwiegende Mehrheit der Steuerpflichtigen nicht mehr veranlagt werden muss. Aus Gründen von Verwaltungsvereinfachung und Datensparsamkeit präferieren wir deshalb die Kombination aus Grundeinkommen und Flat Tax.

Zusätzlich soll es einen Solidarzuschlag von 5% des Einkommens für nicht sozialversicherungspflichtige Einkommen geben. Solche Einkommen sind Kapitalerträge und Unternehmensgewinne, aber auch Gehälter jenseits der Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungen. Solche Einkommen werden dann faktisch mit einer Flat Tax von 50% (45% + 5%) besteuert. Damit gehen wir bis an die Grenze dessen, was das Bundesverfassungsgericht mit dem Halbteilungsgrundsatz skizziert hat.

Mit 50% werden auch Alterseinkünfte versteuert, gemäß dem Prinzip der nachgelagerten Besteuerung jedoch nur derjenige Teil, dessen Beitragszahlungen aus unversteuertem Einkommen stammt, im Jahr 2015 also 70% (das Prinzip ist unter http://de.wikipedia.org/wiki/Rentenbesteuerung erklärt). Da das Grundeinkommen selbstverständlich auch Rentnerinnen und Rentnern ausgezahlt wird, erfolgt insgesamt eine Besserstellung dieser Personengruppe, insbesondere dann, wenn sie derzeit eine geringe Rente beziehen.

Besteuerungsgrundlage ist das gesamte Volkseinkommen (2338 Mrd Euro im Jahr 2016), es sollen also umfänglich steuerliche Ausnahmetatbestände gestrichen werden (“Verbreiterung der Bemessensgrundlage”). Um Effekte wie Steuerhinterziehung und Zahlungsunfähigkeit von Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, rechnen wir auf der Finanzierungsseite mit einem “Steuerschwund”. Dieser beträgt bei Arbeitnehmerentgelten 1%, bei Unternehmensgewinnen und Kapitalerträgen 6% (als Mittelwert von 2% bei Unternehmensgewinnen und 10% bei Kapitalerträgen). Insgesamt sind in unserer Finanzierungsrechnung Steuerausfälle von 60,32 Mrd Euro berücksichtigt. Abzüglich des bisherigen Steueraufkommens aus Einkommens-, Körperschafts- und Gewerbesteuer ergeben sich somit Mehreinnahmen von 760,55 Mrd Euro.

Diese Mehreinnahmen resultieren vor allem daraus, dass das Steuersystem nun nominell keinen Grundfreibetrag und keine Progression mehr kennt. Diese werden durch das Grundeinkommen ersetzt, über das 545,69 Mrd Euro ausgeschüttet werden. In Kombination von Grundeinkommen und Flat Tax ergibt sich im Endeffekt ein progressiver Verlauf, auch wenn in den einzelnen Komponenten eine solche Progression nicht enthalten ist.

Der Verzicht auf eine Progression in der nominalen Besteuerung führt dazu, dass das Steuersystem massiv vereinfacht und entschlackt werden kann. Die Steuern können mehrheitlich direkt an der Quelle erhoben werden, die weit überwiegende Zahl der Einkommensempfänger braucht dann überhaupt nicht mehr veranlagt werden.

Im Rahmen dieser Umstellung soll auch die Gewerbesteuer entfallen, die Gewerbebetriebe zahlen dann eine Flat Tax, deren Steuersatz über der heutigen Körperschaftssteuer liegt. Die Gewerbesteuer ist ohnehin eine deutsche Besonderheit, die es in den meisten anderen Ländern so nicht gibt, ihre Abschaffung ist somit ein Beitrag zur Steuerharmonisierung. Die einzelnen Gemeinden – die bisherigen Empfänger der Gewerbesteuer – sind mittels Direktzuweisungen entsprechend der Einwohnerzahl aus dem Aufkommen der Flat Tax zu alimentieren. Damit würde die finanzielle Ausstattung der einzelnen Kommunen gleichmäßiger, zudem würde auch der unsägliche Subventionswettlauf zur Ansiedlung von Gewerbesteuerzahlern entfallen. (Art 28 GG müsste dafür auf die ursprüngliche Fassung zurückgesetzt werden.)

Unternhemensgewinne werden derzeit mit Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und – bei der Ausschüttung der Gewinne – mit Einkommenssteuer des Gesellschafter besteuert. Je nach Steuerprogression des Ausschüttungsempfängers kommen von 100% Unternehmensgewinn vor Steuern derzeit etwa 51,5% nach Steuern beim Gesellschafter an. Durch unser Modell würden Unternehmensgewinne mit 50% (45% + 5%) besteuert, aber dann steuerfrei an den Gesellschafter ausgeschüttet. Wir heben damit die Besteuerung in diesem Segment an, tun dies aber sehr maßvoll, um nicht unnötig Gründe zur Unternehmensverlagerung zu schaffen – ein Grundeinkommen ist nur dann in nennenswerter Höhe zu finanzieren, wenn die Besteuerungsgrundlage nicht wegbricht.

Unser Konzept sieht darüber hinaus vor, den normalen Satz der Umsatzsteuer („Mehrwertsteuer“) auf glatte 20% anzuheben (der ermäßigte Satz würde hierbei gleich bleiben). Motivation ist hier weniger die Erzielung zusätzlicher Einnahmen, sondern ein glatter Steuersatz, der insbesondere Kleingewerbetreibende die Kalkulation erleichtert. Zudem kann darüber nachgedacht werden, die ermäßigten Steuersätze abzuschaffen und die Mehreinnahmen über ein höheres Grundeinkommen wieder an die Bürger aus zu schütten. Für den Fiskus und den durchschnittlichen Verbraucher wäre eine solche Maßnahme ein Nullsummenspiel, würde aber die Berechnung und Erhebung der Umsatzsteuer deutlich vereinfachen. Eine solche Maßnahme ist jedoch nicht Bestandteil dieses Konzeptes.

Einsparungen im Sozialetat

Das Grundeinkommen soll verschiedene bisherige Sozialleistungen ablösen und damit überflüssig machen, namentlich Arbeitslosengeld 2 und Sozialgeld, Kindergeld, Bafög, Wohngeld nach dem bisherigen Gesetz sowie Erziehungs- und Elterngeld. Zudem ist bei Personen, die bislang Sozialhilfe bekommen, das Grundeinkommen gegenzurechnen.

Im Bereich der Beamtenbesoldung gibt es bislang Familien- und Kinderzuschläge und die Beihilfen. Vor dem Hintergrund, dass durch unser Modell insbesondere die Familien und Kinder finanziell bessergestellt werden und ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem eingeführt wird, werden diese Zuschläge entbehrlich.

Insgsamt können Einsparungen in Höhe von 115,81 Mrd Euro realisiert werden.

Die Zukunft der Sozialversicherungen

Wir wollen die Renten- und Arbeitslosenversicherung als paritätisch finanzierte Sozialversicherung weiterführen und die Kranken- und Pflegeversicherung auf ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem umstellen. Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sollen 20% betragen, wobei zunächst 17% in die Renten- und 3% in die Arbeitslosenversicherung fließen. In dem Maße, in dem durch das Grundeinkommen sich die Arbeitslosenversicherung als überdimensioniert herausstellt, soll von der Arbeitslosen- in die Rentenversicherung umgeschichtet werden.

Die paritätisch finanzierte Rentenversicherung hat sich seit über 100 Jahren als verlässliche Altersversorgung etabliert und zwei Weltkriege überstanden. Wir wollen diese sozialpolitische Errungenschaft nicht ohne Not aufgeben, sondern durch das Grundeinkommen ergänzen. Die Arbeitslosenversicherung federt die Erstfolgen einer Arbeitslosigkeit ab und stellt bewährte Instrumente zur Arbeitsmarktpolitik bereit (Schlechtwettergeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld). Wir wollen die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit im Lichte eines Grundeinkommens auf den Prüfstand stellen und den geänderten Gegebenheiten anpassen. Dabei rechnen wir damit, dass sich ein Teil der Leistungen als entbehrlich erweist, so dass Beitragsanteile von den Arbeitslosen- in die Rentenversicherung umgeschichtet werden können, wo sie vor dem Hintergrund der demographsichen Entwicklung auch sinnvoll verwendet werden können.

Die Sozialversicherungen stehen derzeit nicht nur wegen der demographischen Entwicklung unter Druck: Mit dem Schwund sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse wird zusätzlich die Basis der Beitragszahler geschmälert. Deshalb sieht unser Modell vor, Einkommensanteile, die nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen (Unternehmensgewinne, Kapitalerträge, Arbeitnehmerentgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze), mit einem sogenannten Solidarzuschlag zur Einkommenssteuer zu besteuern. Dadurch werden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zu nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wieder attraktiver und damit die Sozialversicherungen stabilisiert.

Durch die Umstellung der Kranken- und Pflegeversicherung auf ein steuerfinanziertes System sinken massiv die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und damit die Lohnnnebenkosten, was insbesondere bei lohnintensiven Betrieben zunächst eine deutliche Entlastung bringt. Dies ist letztlich aber kein “Geschenk an die Arbeitgeber”: Durch die Besserstellung von Geringverdienern und insbesondere Familien sind Arbeitnehmer weniger erpressbar, zudem haben wir durch den Wegfall der Sanktionen bei ALG 2 keinen äußeren Druck mehr, schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse einzugehen. Dies wird durch die geringere Anrechnung von Hinzuverdienst zwar zu einem erheblichen Teil kompensiert, vielleicht aber nicht vollständig, so dass zumindest in einigen Branchen etwas höhere Löhne gezahlt werden müssten. Um hier keine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, wollen wir hier im Gegenzug eine gezielte Entlastung schaffen. Sollte diese Entlastung in einigen Branchen nicht zu höheren Löhnen, sondern zu weniger Rationalisierungdruck und somit zu insgesamt mehr Beschäftigung führen, würden wir das auch begrüßen.

Mängel

In diesem Konzept sind einige Sachverhalte noch nicht zu unserer eigenen Zufriedenheit gelöst. Es entspricht unserem Verständnis vom Transparenz, dass wir dieses offen ansprechen.

  • Das Grundeinkommen ist noch nicht in einer Höhe finanzierbar, die wir für vollständig existenzsichernd halten. Denkbar wäre, dass z.B. durch Vermögensbesteuerung, Ökosteuern, Bodenwertsteuer oder Finanztransaktionssteuern zusätzliche Spielräume entstehen. Auch hoffen wir darauf, dass eine prosperierende Wirtschaft oder in diesem Konzept zu vorsichtig angenommene Werte eine weitere Erhöhung des Grundeinkommens möglich machen. In dem Maße, in dem das Grundeinkommen höher ausfällt, kann dann auch das Wohngeld geringer ausfallen.
  • Beim Wohngeld kommen wir am Konzept der Bedarfsgemeinschaft noch nicht vorbei. Ein Konzept ohne Bedarfsgemeinschaften würde – sofern wir Geringverdiener nicht schlechter stellen wollen als unter Hartz IV eine Deckungslücke in erheblicher Größe aufreißen. Wir konnten jedoch bereits die Kinder und Jugendlichen aus diesen Bedarfsgemeinschaften herausnehmen, da wir diesen ein Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe zahlen können.

Links

  • Der Kalkulator zur Berechnung des Haushaltseinkommens
  • Das Calc-Sheet (OpenOffice / LibreOffice) mit unserer Finanzierungsrechnung
  • Der Blog-Beitrag zur Version 1.0 mit der dazugehörenden Diskussion (Version 1.1 wurde nicht veröffentlicht)
  • Der Blog-Beitrag zur Version 1.2 mit der dazugehörenden Diskussion
  • Der Blog-Beitrag zur Version 1.3 mit der dazugehörenden Diskussion
  • Der Blog-Beitrag zur Version 1.4 mit der dazugehörenden Diskussion
  • Der Blog-Beitrag zur Version 1.5 mit der dazugehörenden Diskussion

Veränderungen gegenüber der Version 1.5

Bei den äußeren Daten haben wir insbesondere die folgenden Veränderungen:

  • 2263,1 Mrd Volkseinkommen (statt 2263,1 Mrd im Jahr 2015), dadurch entsprechend höhere Steuereinnahmen.
  • 82,5 Mio Einwohner (statt 82,1 Mio), dadurch etwas mehr Kosten für das Grundeinkommen.

Im Vergleich zu früheren Jahre haben wir durch den massiven Zuzug von Geflüchteten einen Anstieg der Gesamtbevölkerung. Die Frage, ob auch Personen, die bislang nach dem Asylbewerberleistungsgesetz anspruchsberechtigt sind, ein Grundeinkommen erhalten sollen, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden; dies hier ist ein Finanzierungskonzept. Aus Gründen der kaufmännischen Vorsicht wurde jedoch so gerechnet, dass auch diese Personen ein Grundeinkommen beziehen. (Die Kosten für die Geflüchteten wurden – ebenso aus Gründen der kaufmännischen Vorsicht – jedoch nicht zur Gegenfinanzierung herangezogen, da diese nicht primär auf Bundesebene anfallen.) Insgesamt ist der Einfluss auf dieses Finanzierungskonzept recht gering. Vom Standpunkt der Finanzierung eines solchen Grundeinkommen-Modells könnte Deutschland durchaus auch künftig noch ein größere Zahl von Geflüchteten aufnehmen.

Wenn darauf verzichtet wird, zwischen dem ersten und den weiteren Personen in einem Haushalt zu unterscheiden, entsteht ein massiver finanzieller Anreiz zum gemeinsamen Wohnen. Wir erwarten uns dadurch eine Entspannung auf dem Mietenmarkt und darüber dann sinkende Mieten. Derselbe Effekt dürfte dadurch entstehen, dass das Wohnggeld pauschal gezahlt werden und nicht an einen konkreten Mietvertrag gebunden werden soll. Wir legen wert auf die Feststellung, dass es sich dabei um finanzielle Anreize für freiwilliges Verhalten der Leistungsempfänger handelt.

Erstmals wurden die Steuerausfälle durch die Werbungskosten der Arbeitnehmer berücksichtigt. Dafür liegen leider nur Zahlen aus 2011 vor. Der Anteil, der nicht durch die Entfernungspauschale verursacht wird, wurde entsprechend der Steigerung des Volkseinkommens um 15.28% erhöht. Insgesamt entstehen dadurch Werbungskosten von 52,45 Mrd Euro und entsprechend einem durchschnittlichen Steuersatz von 47% Einnahmeausfälle von 24,69 Mrd Euro.

Dementsprechend geringer fällt der rechnerische Deckungsbeitrag aus: Mit einem Deckungsüberschuss von rechnerisch 39,22 Mrd Euro fällt dieser Wert geringer aus als bei vorherigen Versionsständen. Dabei wird wie gehabt davon ausgegangen, dass eine „Reserve“ von etwa 15 Mrd Euro für möglicherweise zu optimistische Annahmen vorhanden sein sollte. Dementsprechend könnten gut 20 Mrd Euro für andere Ausgaben verplant werden. (Es sei darauf hingewiesen, dass diese Werte zusätzlich zu den ohnehin derzeit erzielten Haushaltsüberschüssen hinzukommen.)

Korrekturhinweis

In einer ersten Veröffentlichung dieser Version wurde versehentlich die kompletten Werbungskosten als Einnahmeausfälle angesetzt und nicht nur der Anteil „nach Steuern“.

7 Gedanken zu „Sozialstaat 3.0 (Versionsstand 1.6 b)“

  1. Hallo Michael,
    im Abschnitt Veränderungen ist folgende Stelle nicht schlüssig:

    „Veränderungen gegenüber der Version 1.5

    Bei den äußeren Daten haben wir insbesondere die folgenden Veränderungen:

    2263,1 Mrd Volkseinkommen (statt 2263,1 Mrd im Jahr 2015), dadurch entsprechend höhere Steuereinnahmen.“

  2. Das Grundeinkommen soll also Ausbildungsförderung und Elterngeld ersetzen…

    Euer Grundeinkommen beträgt 540 Euro, der Bafög-Höchstsatz 735 Euro – und selbst der reicht in Großstädten schon kaum zum Leben. Mit anderen Worten: Euer Konzept stellt die Studenten, die am Bedürftigsten sind, um 200 Euro schlechter.

    Beim Elterngeld verhält es sich ähnlich. Viele Eltern bekommen wesentlich mehr Elterngeld als 540 Euro, nämlich 2/3 des durchschnittlichen Nettoeinkommens im Jahr vor der Geburt des Kindes. Mit anderen Worten: Alle Eltern, die bisher mehr als 800 Euro Netto verdient haben, bekommen künftig weniger Elterngeld.

    1. Zum Grundeinkommen käme noch das Wohngeld, das wären dann zusammen 890,75 Euro (siehe auch https://computerdemokratie.de/michael/calc7/Project1.html), die besagten Studenten werden also um mehr als 150,- Euro besser gestellt. (Nicht zu vergessen das steuerfinanzierte Gesundheitssystem…)

      Das Elterngeld ist zudem auf 12 Monate beschränkt, das Grundeinkommen für Kinder wird bis zur Volljährigkeit an die Eltern ausgezahlt. Dies bitte immer beim Vergleich berücksichtigen.
      „Unter’m Strich“ werden nach unserem Modell Familien klar besser gestellt.

  3. Also, erst mal: Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast, diese äußerst gute, fundierte Ausarbeitung anzufertigen und mit uns zu teilen.
    Ein Verbesserungsvorschlag: Verwende doch lieber durchgehend den Begriff „ALG2“ statt den anderen Begriff für jene Sozialleistung. Vorzüge: Nicht stigmatisierend; offiziell; praktisch Blog-Beitrag nicht schwerer zugänglich machend, wenn man sich mal vergegenwärtigt, wie anspruchsvoll er schon unabhängig davon ist.

    1. Wenn von der Sozialleistung die Rede ist, dann schreibe ich „ALG2“, wenn von der Reform gesprochen wird, dann von „Hartz IV“. Oder ist jetzt etwas anderes gemeint?

  4. Die SPD macht – Anfang 2019 – durch Umstrukturierung von Hartz 4 zu Bürgergeld auf sich aufmerksam. Beim Lesen der neuen Konzepte werde ich das Gefühl nicht los, als hätte man bei der ehemaligen Arbeiterpartei sehr genau auf das Sozialstaat 3.0 Konzept geschaut.
    bei den Punkten

    – die Förderung von Kindern und Jugendlichen ( Kindergrundsicherung)
    – Aufstocker werden weniger sanktioniert und künftig durch die Arbeitsagenturen betreut
    – Bürokratieabbau => Pauschalrechnung statt Einzelfallberechnung

    hatte ich das Gefühl, „das kommt mir irgendwie bekannt vor“ …
    Wer kann das bestätigen (hat auch so ein „Gefühl“) ?

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